Leben mit gutem Gewissen Die 2000-Watt-Gesellschaft

Offene Treppenhäuser schaffen Wohlbefinden.

Dass unser moderner und individueller Lebensstil deutlich mehr Energie und Ressourcen verbraucht, als die Erde auf Dauer verkraften kann, ist weithin bekannt. Die Folgen daraus spüren wir längst: Mehr und mehr versinkt die Umwelt in Schmutz, massive Feinstaubbelastung zwingt Städte zu drastischen Verkehrsverboten und das Klima erwärmt sich bereits dauerhaft – die Folgen sind kaum abschätzbar. Problem erkannt – Problem gebannt? Trotz massiver Investitionen in erneuerbare Energien und neue Technologien hat sich der CO2-Ausstoß in Deutschland aber in den letzten 10 Jahren weiter erhöht. Ist das selbst gesteckte Klimaziel für 2020 noch zu erreichen? Es ist noch nicht zu spät, aber: Es muss anders gedacht werden! Ganzheitliche Ansätze, die unseren Lebensstil genauer unter die Lupe nehmen, stecken zwar noch in den Kinderschuhen, erhalten aber mehr und mehr Zuspruch.

6 Staubsauger im Dauerbetrieb: Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person jeden Tag

Die Erfinder der „2000-Watt-Gesellschaft“, ein Konzept, das schon in einigen Gemeinden um den Bodensee und in Wohnprojekten in Zürich umgesetzt ist, denken bereits anders. Die Idee dahinter: Einen für den Planeten nachhaltigen Primärenergiebedarf von 2000 Watt pro Person zu erreichen. Der Name ist also Programm. Dieser Energiebedarf pro Person entspräche ungefähr dem Betrieb von 2 Staubsaugern – 24 Stunden pro Tag. Aktuell, so die Aussage der Gründer, liegt der durchschnittliche Energiebedarf pro Person in Deutschland allerdings bei 5500 Watt, also bei cirka 6 Staubsaugern pro Person, die rund um die Uhr im Dauerbetrieb laufen. Dreimal so viel!

Die Energie, die wir verbrauchen, wird unterteilt in vier Kategorien: Wohnen, Essen, Mobilität und Konsum. Allein fürs Wohnen werden 30% des Energiebedarfes angesetzt – also für Heizen, Warmwasser und den Betrieb diverser Haushaltsgeräte. Hinzu kommt: Die Wohnfläche pro Kopf hat sich in den letzten 50 Jahren verdoppelt. Trotz Wohnraumknappheit in den Ballungszentren bewohnen immer mehr Menschen immer größere Wohnungen und das mit immer mehr technischer Ausstattung. Wohnen verschlingt Unmengen an Energie – und es wird immer mehr!

Änderung von Lebens- und Unternehmensformen soll die Energiespirale aufhalten

Genau hier versuchen die Konzeptionierer der 2000-Watt-Gesellschaft anzuknüpfen. Sie behaupten: Durch innovative Haustechnik und das Teilen von Wohnraum und individuellen Konsum lasse sich unser Primärenergiebedarf drastisch senken und das ohne Verlust an Lebensqualität. Erreicht werden soll dies durch nachhaltigeres Bauen, eine starke Energieeffizienz, die konsequente Nutzung erneuerbarer Energien, sowie die Umstellung auf neue Lebens- und Unternehmensformen.

Erstes Pilotprojekt in Zürich

Wie so etwas ganz praktisch funktioniert, zeigt das Zürcher Pilotprojekt „Hunziker Areal“. Hier entstanden im Rahmen einer Genossenschaft 13 Häuser in sehr unterschiedlichen Bauweisen, die sich von Anfang an als Innovations-Labor für gemeinnützigen Wohnungsbau verstanden. So wurden bewusst verschiedene Fassadenkonstruktionen und Haustechniken eingebaut und die wissenschaftliche Begleitung soll ermitteln, welche der Varianten die ökologisch sinnvollste für den zukünftigen Wohnungsbau sei. Und der Erfolg stellt sich ein: Erste Messungen zeigen, dass der Betrieb des Areals deutlich unter den angestrebten 2000-Watt liegt. Auch wenn die Erstellung eines Hauses weiterhin gewaltige Mengen an Energie verbraucht, so sind diese Gebäude mindestens energieeffizient.

Auch in der Kategorie Mobilität setzen die Zürcher neue Maßstäbe: Jeder Bewohner verzichtet explizit auf sein eigenes Automobil. Stattdessen bietet die Genossenschaft ein car- und bikesharing Modell an. Jeder Bewohner hat Zugang zu gemeinschaftlich genutzten Elektroautos und Elektrofahrrädern, sowie Lastenrädern, die das eigene Auto für innerstädtische Besorgungen ersetzen sollen. Eine sehr gute ÖPNV-Anbindung komplementiert das Mobilitätskonzept.

Ohne einen starken Gemeinschaftsgedanken geht es nicht

Noch einen Schritt weiter geht das ebenfalls in Zürich ansässige und auch nach 2000-Watt-Maßstäben erstellte Wohn- und Gewerbehaus „Kalkbreite“. Neben einem ebenso exzellenten Energieverbrauch und dem Verzicht aufs eigene Auto, wird hier der Gemeinschaftsgedanke groß geschrieben. Die Wohnungen in der Kalkbreite fallen kleiner aus als der bundesweite Durchschnitt, dafür stehen jedem Bewohner großzügige Gemeinschaftsflächen zur Verfügung. Summa summarum verfügen die Bewohner also über deutlich mehr Platz und Entfaltungsmöglichkeiten. Neben gemeinsamen Aufenthaltsorten, die beispielsweise als Wohnzimmer und Gemeinschaftsküche genutzt werden können, gibt es eine gemütliche Bibliothek und ein Café, das zum Plaudern mit den Nachbarn oder auch zum Arbeiten einlädt. Zudem stehen Gästezimmer zur Verfügung und es gibt ausreichend freie Räume zur flexiblen (Um)Nutzung beispielsweise als Fitness-, Yoga-, Werkstattraum oder auch Kindergarten. Außerdem werden Gegenstände, die nicht täglich benutzt werden, wie beispielsweise Werkzeug, Grill, Leitern oder auch Freizeitgeräte wie Tischtennisschläger unter den Bewohnern geteilt, um Kosten zu sparen.

Die Gesellschaft der Zukunft teilt

Um das Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, bedarf es folglich mehr als einer energieeffizienten Bauweise. Die Häuser der Zukunft müssen einen neuen, entspannten Lebensstil fördern, durch den der Verbrauch von Ressourcen ganzheitlich minimiert wird. Der Grundsatz: Gemeinschaftliches Teilen rückt an die Stelle des individuellen Besitzens. Dieser Gedanke wiederum stimmt mit der urbanen Realität von immer mehr Singles und alleinstehenden Senioren überein: die Meisten von ihnen möchten lieber integriert in einer aktiven Gemeinschaft leben, als abgeschottet und alleine.