Urban Gardening Grüne Oasen in der Stadt

Vor hundert Jahren waren Schrebergärten und Kleingärten die vorherrschenden urbanen Nahrungsversorgungsquellen im kleinen Stil. 1921 wurde die sogenannte Schrebergartenvereinigung gegründet. Vorher schon hatten die in Parzellen aufgeteilten Kleingärten vielen Arbeitergenerationen als Unterhaltsbeihilfe und deren Kindern als sicheren und spannenden Spielraum gedient. Die Schrebergärten entstanden als Antwort auf Armut, die mit der rasanten Industrialisierung einherging. Vorgärten waren nur noch ein Luxus für gut betuchte und meist von ihrem Zweck als Gemüse- und Obstgarten entfremdet. Nach dem ersten und zweiten Weltkrieg dienten Schrebergärten als Unterkünfte für Geflohene und waren außerdem essenziell für die Essensversorgung der StadtbewohnerInnen.

Gemeinsam gärtnern, lernen und erfahren

Schrebergärten waren seit der ersten Stunde eine Kompensation für den fehlenden eigenen Garten vor der Haustüre. Urban Gardening dagegen ist etwas Neues. Das Motto lautet: gemeinsam gärtnern, lernen und erfahren. Was sich wirklich hinter dem Begriff Urban  Gardening versteckt, ist bis heute unklar. Gehören dazu die anfangs genannten Gartenanlagen, oder sind ausschließlich visionäre, soziale und ökologische Projekte darunter zu verstehen? Eins ist auf alle Fälle sicher: viele verschiedene Akteure prägen das städtische Bild mit begrünenden Initiativen. Hierzu gehört der Anbau von Gemüse auf der Hochhausterrasse genauso wie der Bienenstock im Kleingarten. Unterschiedliche Wege werden im urbanen Raum genommen, um die Bedürfnisse nach Natur, Begegnung, Rückzugsorten und eine  alternative Form des Zusammenlebens zu erproben. Schrebergärten bestehen bis heute. Allerdings machen mittlerweile Nachbarschafts-, und Gemeinschaftsgärten sowie Interkulturelle Gärten, Selbsternteprojekte und Baumscheiben den alt eingesessenen Gartenanlagen Konkurrenz.

Seedbombs als politische Botschaft

Heute ist Gärtnern hip, gemeinschaftlich wird die Stadt erobert, begrünt und essbarer. Green Guerillas warfen in den 70er Jahren in New York Seedbombs (zu dem Zeitpunkt waren die Seedbombs Wasserballons gefüllt mit Pflanzensamen) auf brachliegende Grundstücke. Mit dem Protest sollte der innerstädtische Verfall mediale Aufmerksamkeit erhalten. Heute können Seedbombs, Pflanzensamen, die in einer Erdkugel eingearbeitet wurden, in Drogerien, Souveniroder Blumenläden gekauft werden. Die politische Aussage der Seedbombs ist den meisten heute nicht bewusst.

Die Prinzessinengärten – ein Leuchtturmprojekt des Urgan Gardening

Urban Gardening erhält immer mehr Rückhalt von politischer Seite. Eines der ersten und prominentesten Gartenprojekte ist der Prinzessinengarten (https://prinzessinnengarten.net/wir/) in Berlin am Moritzplatz. Anfänglich war die Pacht der 5800 Quadratmeter großen städtischen Fläche nur für ein Jahr möglich. 2012 drohte das Projekt zu scheitern, nachdem die Fläche meistbietend verkauft werden sollte. Durch tatkräftigen Einsatz von tausenden Freiwilligen und einer Petition konnte der Verkauf verhindert werden. 2014 hat der Berliner Senat „Strategie Stadtlandschaft Berlin. natürlich urban produktiv“ (https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/landschaftsplanung/strategie_stadtlandschaft/download/Strategie-Stadtlandschaft-Berlin.pdf) veröffentlicht. Darin werden die Prinzessinengärten als Leuchtturmprojekt beschrieben. Urbanes Gärtnern nimmt einen zentralen Raum in dem Landschaftsplanungspapier ein. Der Prinzessinengarten war von Anfang an eine von Freiwilligen getragene Initiative. Das Vorbild für das 2009 gegründete Projekt waren die urbanen Selbstversorgerpraktiken in Kuba. Die Bevölkerung Kubas reagierte auf die immer schlechtere Lebensmittelversorgung in den Städten mit Eigeninitiative. Nutzpflanzen wurden in Joghurtbechern, Plastiktüten und weiteren geeigneten Gefäßen angebaut.

Wie in Kuba verwenden die Prinzessinengärten ausschließlich mobile Beete. In Reissäcken und Brotkisten werden über 500 verschiedene Gemüse und Kräuterarten angebaut. Gründe dafür gibt es viele. Der Boden ist versiegelt und kontaminiert, da die Fläche ein ehemaliges Trümmerfeld ist welches erst durch ehrenamtliche für die Gründung des Gartens freigeräumt wurde. Die unkonventionellen Bepflanzungskonzepte belebten nicht nur das ehemals verwüstete Gelände sondern auch den ganzen Moritzplatz. Startups und Cafés sind mittlerweile an dem früheren Brennpunkt anzufinden. Die Prinzessinnengärten sind heute ein Magnet für Touristen, Forschende und Interessierte. Das Projekt trägt sich durch Einnahmen des Gartencafés, Workshops und Förderprogramme. Für die finanzielle Abwicklung wurde das gemeinnützige Unternehmen „Nomaden Grün“ gegründet. Der Garten erbringt neben den Ernten von frischem Gemüse und Kräutern, Lernerlebnisse, Begegnungen und Lebensqualität.

Die positive transformatorische Kraft, welche ein solches Projekt mobilisieren kann wurde von vielen Menschen in ganz Deutschland aufgegriffen. Mittlerweile gibt es mehr als 600 Urban Gardening Projekte. Anstiftung (https://anstiftung.de/urbane-gaerten/gaerten-im-ueberblick) ermöglicht eine schnelle Suche nach Gärten in der Nähe. Die Stiftung stellt zudem umfassendes Informationsmaterial für Gründungen von Gemeinschaftsgärten und Interkulturellen Gärten zur Verfügung.

Interkulturelle Gärten – Die Dimension Begegnung

Die Internationalen Gärten in Göttingen (http://internationale-gaerten.de/) welche bereits 1995 gegründet wurden zeigen eine weitere Dimension der Bewegung auf. Gärten sollen dazu dienen Integration besser zu bewerkstelligen, mit Menschen aus unterschiedlichen  Lebensabschnitten in Kontakt zu kommen, voneinander und miteinander zu lernen. Von Basics wie: „Welche Pflanze ist das?“ bis zu Fragen des klimagerechten Anbaus und des Umgangs mit den städtisch klimatischen Eigenheiten und solchen, die das alltägliche Miteinander betreffen. Gemeinschaftsgärten dienen oft als Erprobung von Lebensstilen, von Utopien.

Der Internationale Garten in Göttingen wurde von Geflüchteten aus Bosnien ins Leben gerufen. Die Initiative erhielt viele NachahmerInnen. Die Zahl der Interkulturellen Gärten in  Deutschland explodierte innerhalb von zwei Jahren von 24 2005 auf 60 im Jahr 2007 (https://publikationen.sulb.uni-saarland.de/bitstream/20.500.11880/23712/1/Die_Sehnsucht_nach_dem_Ideal_Finale_Version.pdf). Gärten stellen die Möglichkeit der Rückkehr zur Normalität, Entfaltung, Wertschätzung und Verwirklichung dar.

Die Essbare Stadt

Mittlerweile ist Urban Gardening in der Städtischen Politik angekommen: Bereiche in öffentlichen Parks werden Vereinen und BürgerInnen für Gärtenprojekte überlassen. Die Stadt Leipzig verabschiedete 2002 eine Gestattungsvereinbarung (https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/64_Amt_fuer_Stadterneuerung_und_Wohnungsbaufoerderung/Projekte/Flyer_Broschueren_PDFs/luecken_flyer.pdf), welche die Zwischennutzung von privaten Grundstücken erlaubt. Andere Beispiele sind die städtisch organisierten Patenschaften von Baumscheiben. Dabei werden die Pflege und Gestaltung von einem Baum und der umliegenden Fläche von jemandem ehrenamtlich übernommen. Diese Initiative hilft, mehr Grünflächen in den Straßen zu bekommen und steigert die Involvierung von BürgerInnen in der Gestaltung des öffentlichen Raums.

Die rheinland-pfälzische Stadt Andernach hat einen besonderen Weg genommen. Sie wird auch die Essbare Stadt genannt, da hier seit 2010 alle öffentlichen Flächen umgestaltet wurden und jetzt statt Zierpflanzen Mangold und Kohlrabis zu bewundern und ernten sind. Die EinwohnerInnen können sich bei der Pflege beteiligen oder einfach frisches Gemüse für ihr Mittagessen ernten. Die Devise der Stadt lautet dabei Biodiversität, und so sprießen und gedeihen eine Vielzahl an alten Wildpflanzen auf den Grünflächen. Die Stadt hat es geschafft Agraranbau erlebbar und ästhetisch zugänglich zu machen. Da jetzt viele mehrjährige Stauden in der Stadt blühen statt einjährige Zierpflanzen sanken durch den Wechsel hin zu einer Essbaren Stadt die Kosten für die Pflege der öffentlichen Grünanlagen.

Landwirte haben auf den Trend des Urbanen Gärtnern mit Selbsternteprojekten (https://www.bzfe.de/inhalt/selbsterntegaerten-33554.html) reagiert. Dabei bereiten Bauern Land für PächterInnen mindestens einmal pro Saison auf. Danach können die PächterInnen den Acker selber pflegen, Unkraut zupfen, gießen, ernten und weiter bepflanzen wie sie es sich wünschen. Tipps zur guten Pflege kommen dabei inklusive von den LandwirtInnern oder den NachbarInnen von der Parzelle nebenan. Die Felder befinden sich meist in Stadtnähe und ermöglichen den leichten Einstieg von Laien in den Anbau. Auch hier wird wieder Regionalität, Transparenz und Saisonalität garantiert. Bei den Selbsterntegärten entsteht zudem der Austausch zwischen StadtbewohnerInnen und LandwirtInnen.

Urban Gardening umfasst vielseitige Herangehensweisen, Motive und Praktiken des Anbaus von Pflanzen im städtischen Raum. Gemeinsam haben alle das dadurch ein direkterer Bezug zu Lebensmitteln und der Natur geschaffen wird. Die Gestaltung des öffentlichen Raums  wird verändert. Laien treffen aufeinander und entwickeln sich zu Urban Gardening Experten, durch experimentieren, durch Fragen, und Neugierde. Bedürfnisse nach Austausch, Schaffen mit den eigenen Händen und das Erleben von Entwicklung, von Pflanzen,  Menschen und Gruppen werden damit gedeckt. Durch den eigenen Anbau wird ein intensiver Reflexionsprozess angeregt. Wieso schmecken die Möhren aus dem Supermarkt so wässrig im Vergleich zu den selbst geernteten? Wie ist unsere Nahrung mit der Umwelt und dem Klimawandel verknüpft? Wie viel Arbeit steckt in einem Wirsing? Die Urban Gardening Bewegung strebt nicht nach der ländlichen Idylle. Stattdessen wird auf eine innovative und vielfältige Weise das Gärtnern in naturfremde Räume gebracht.